Anästhesie, Atemweg, Präklinik, Präoxygenierung
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Pre-Ox, Ap-Ox, Con-Ox, Re-Ox. Sauerstoffphysiologie in der Peri-Intubationsphase

Obwohl der Nutzen einer Präoxygenierung eigentlich ziemlich unumstritten ist, wird sie oftmals trotzdem nicht oder zumindest nicht ganz korrekt durchgeführt. Gerade im elektiv-chirurgischen Setting, wo man keine Probleme erwartet und auch ein gewisser Zeitdruck herrscht, schleicht sich manchmal eine gewisse Nachlässigkeit ein. Und seien wir einmal ehrlich: Wer hat in seiner Karriere wirklich jeden Patienten immer ausreichend lange präoxygeniert?

Aber bei einer Inzidenz von 0,4% einer Kombination aus schwieriger Intubation und schwieriger Maskenbeatmung [1] können wir davon ausgehen, dass wir bei jeder 250. Narkoseeinleitung besonders froh sind, wenn wir uns durch ein gutes Management einen Sicherheitspolster an Sauerstoff geschaffen haben.

Beginnen wir mit ein paar physiologischen Überlegungen:

Bei der Atmung von normaler Umgebungsluft, welche 21% O2 enthält, befinden sich im Alveolargasgemisch aufgrund der gleichzeitigen Anwesenheit von Wasserdampf und CO2 nur ca. 13% O2. Das lässt sich ganz einfach durch die Alveolargasgleichung demonstrieren:

PAO2= (patm – pH20) x FiO2 – (PaCO2 / RQ)

Der Sauerstoffpartialdruck in der Alveole entspricht also dem Atmosphärendruck minus dem Wasserdampfdruck mal der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration minus dem CO2-Partialdruck geteilt durch den respiratorischen Quotienten. Unter Normalbedingungen ergibt das:

PAO2= (760 – 47) x 0,21 – (40 / 0,8) = 100mmHg

Und 100mmHg sind eben 13% des Atmosphärendrucks von 760mmHg. Erhöht man jetzt die inspiratorische Sauerstoffkonzentration auf 100% ergibt sich folgende Rechnung:

(760 – 47) x 1 – (40 / 0,8) = 663mmHg
663 / 760 = 87% O2 im Alveolargasgemisch

Der Sauerstoff in den Alveolen diffundiert dann ins Blut und wird dort einerseits an Hämoglobin gebunden und andererseits in minimalen Mengen physikalisch gelöst. Dass das Blut jedoch ein recht kleiner Speicher ist, der auch bei optimaler Präoxygenierung nur unwesentlich mehr O2 aufnehmen kann, sieht man, wenn man den Sauerstoffgehalt des Blutes berechnet:

CaO2= (Hb x 1,34) x SaO2 + (PaO2 x 0,003)

Dies ergibt unter physiologischen Verhältnissen

(13 x 1,34) x 0,99 + (100 x 0,003) = 17,5mlO2/100ml Blut

und unter 100% O2 nur eine Steigerung von knapp 2mlO2/100ml Blut:

(13 x 1,34) x 1 + (663 x 0,003) = 19,4mlO2/100ml Blut

Die wesentlichste Sauerstoff-Reserve im menschlichen Körper stellt die Lunge, genauer gesagt die Funktionelle Residualkapazität (FRC) dar. Diese beträgt in etwa 40ml/kg, was also bei einem Durchschnittspatienten ca. 3000ml entspricht. Bei 21% O2 in der Umgebungsluft (entsprechend 13% im Alveolargasgemisch) entspricht das also 3000 x 0,13 = 390ml reinem Sauerstoff in der FRC. Ein gesunder Erwachsener verbraucht pro Minute ca. 3-4ml O2 pro Minute, das entspricht für einen Durchschnittspatienten also in etwa 250ml/min. Somit ergibt sich eine Sauerstoffreserve in der FRC für ca. 1,5 Minuten.

Jetzt kommts.

Wird die FRC perfekt präoxygeniert findet sich darin wie oben beschrieben 87% Sauerstoff was einen Sauerstoffgehalt von 3000 x 0,87 = 2610ml ergibt. Das reicht für ca. 10 Minuten Apnoe.

Und es wird noch besser.

Während einer Apnoe werden weiterhin ca. 250mlO2 pro Minute aus den Alveolen ins Blut aufgenommen. Aufgrund einer wesentlich besseren Löslichkeit diffundieren aber nur ca. 10mlCO2 pro Minute vom Blut in die Alveolen, was einen Netto-Gasfluss von ungefähr 240ml pro Minute in die Alveolen bedeutet. Wenn man nun über offene Atemwege weiterhin konstant Sauerstoff zuführt (apnoeische Oxygenierung, keine Beatmung) sind theoretisch Apnoezeiten bis zu 100 Minuten möglich [2]. Das führt zwar  nach einer gewissen Zeit zu einer CO2-bedingten Azidose, aber zumindest die Oxygenierung ist gewährleistet und wir haben zusätzliche Zeit gewonnen.

Um die Oxygenierung möglichst lange zu erhalten (CONserving OXygenation) macht auch die Wahl des Muskelrelaxans einen Unterschied. Die durch Succinylcholin hervorgerufenen Muskelfaszikulationen erhöhen den Sauerstoffverbrauch und reduzieren folglich die Zeit bis zur Desaturierung[3]. Also falls noch jemand einen weiteren Grund gebraucht hat um Rocuronium statt Succinylcholin bei der Rapid Sequence Induction zu verwenden…here it is.

Nun zum praktischen Vorgehen und hier gibt es natürlich je nach Arbeitsumgebung und vorhandenem Equipment unterschiedliche Möglichkeiten. Wichtig ist eine dicht sitzende Maske, da Leckagen die tatsächlich erreichbare inspiratorische O2-Konzentration dramatisch reduzieren. Die zusätzliche Anwendung einer Nasenbrille mit hohem Flow unter der Maske (siehe Bild) kann solche Leckagen kompensieren, wird während des Intubationsvorganges am Patienten belassen und sorgt so weiter für eine konstante Sauerstoffzufuhr. Kreative Leute haben dieses Vorgehen als NO DESAT bezeichnet (Nasal Oxygen During Efforts Securing A Tube). Empfohlen wird, die Präoxygenierung für 3 Minuten durchzuführen oder den kooperativen Patienten 8 Maximalatemzüge tätigen zu lassen. Die beste Erfolgskontrolle ist allerdings das Monitoring der endtidalen O2-Konzentration (EtO2), was mit sämtlichen modernen Narkosemaschinen möglich ist. Erreicht die EtO2 90%, kann man davon ausgehen, das die FRC maximal mit Sauerstoff angereichert ist. Um die Effektivität der Präoxygenierung noch zu verbessern kann eine Oberkörperhochlagergung durchgeführt und ein CPAP appliziert werden, was vor allem bei kritischen Patienten hilfreich sein kann[4].

Wir haben also alles richtig gemacht, Pre-Ox, Ap-Ox und Con-Ox angewendet, aber was machen wir, wenn die Atemwegssicherung nicht klappt und unser Patient  zu desaturieren droht? Beatmen. Ja, aber wie viel Beatmung braucht der Patient eigentlich wieder zur Re-Oxygenierung? Wenn man bedenkt, dass mit einem einzigen Atemhub von 500ml mit 100% Sauerstoff (und folglich (87% Sauerstoff im Alveolargasgemisch, siehe oben) bereits 500 x 0,87 = 435ml O2 zugeführt werden, wird schnell klar, dass es wahrscheinlich weniger ist als man denkt. Mit 2 suffizienten Beatmungshüben ist der Patient eigentlich schon wieder voll reoxygeniert. Das soll jetzt nicht heißen, dass diese Patienten nur 2 Beatmungshübe erhalten sollen, aber panische Beatmungen mit hoher Frequenz und Spitzendrücken weit über dem Verschlussdruck des unteren Ösophagusspincters (ca- 15-20cmH2O) sind wahrscheinlich nicht der ideale Weg (We´ve all been there.).

  1. Kheterpal S, Healy D, Aziz MF, et al. Incidence, predictors, and outcome of difficult mask ventilation combined with difficult laryngoscopy: a report from the multicenter perioperative outcomes group. Anesthesiology. 2013 Dec;119(6):1360-9.
  2. Frumin MJ, Epstein RM, Cohen G. Apnoeic oxygenation in man. Anesthesioloy. 1959;20:789-798.
  3. Taha SK, El-Khatib MF, Baraka AS, at al. Effect of suxamethonium vs rocuronium on onset of oxygen desaturation during apnoea following rapid sequence induction. Anaesthesia. 2010;65:358-361
  4. Dixon BJ, Dixon JB, Carden JR, at al. Preoxygenation is more effetive in the 25 degrees head-up position than in the supine position in severley obese patients: a randomized controlled study. Anesthesiology. 2005;102:1110-1115