Anaesthesia, das offizielle Journal der Association of Anaesthetists of Great Britain and Ireland und mit einem Impaktfaktor von 4,7 eines der höchstgereihten Journale im Bereich Anästhesie hat pünktlich zum Jahresbeginn eine Sonderausgabe zum Thema Komplikationen in der Anästhesie veröffentlicht. Die gesamte Ausgabe ist dank open access hier http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/anae.2018.73.issue-S1/issuetoc frei zugänglich und natürlich im Original absolut lesenswert. Wie im Editorial beschrieben, sollte die Lektüre eigentlich für alle in Ausbildung befindlichen Anästhesisten unumgänglich sein, aber auch für Fachärzte (zu denen ich mich seit wenigen Tagen zählen darf) findet sich eine äußerst umfangreiche aber eben sehr wesentliche Zusammenfassung vieler möglicher Komplikationen und deren Management. Dies beginnt schon einmal damit, wie Komplikationen eigentlich definiert sind und ob (diesen Punkt hab ich mir so noch nie überlegt, finde ich aber extrem spannend) Auswirkungen auf das OP-Personal eigentlich auch als Komplikation gewertet werden sollten. Aber keine philosophischen Grundsatzdiskussionen hier, zurück zur eigentlichen Sache.
Wir werden auf FOAMina in der nächsten Zeit einige der in dieser Sonderausgabe enthaltenen Reviews vorstellen und kommentieren, ich möchte heute aufgrund ihrer Häufigkeit mit den respiratorischen Komplikationen beginnen.
Postoperative pulmonale Komplikationen (PPC) sind eben die häufigsten mittelfristigen Komplikationen nach großen Operationen und schwere PPCs treten bei 2,8% aller Patienten auf. Wenig überraschend verschlechtern sie sowohl Morbidität als auch Mortalität, sie tun dies interessanterweise jedoch noch stärker als kardiale Komplikationen.
Bei Intensivpatienten sind lungenprotektive Beatmungsstrategien mittlerweile absolut etabliert, wobei auch hier die definitiv beste Beatmungsform noch nicht gefunden ist (APRV anyone?2). Die große Frage ist nun, ob Beatmungsstrategien, die für tagelange Beatmung kranker Lungen auf Intensivstationen entwickelt wurden auch für die kurzzeitige Beatmung typischerweise gesunder Lungen über maximal wenige Stunden im OP eingesetzt werden sollten und dort auch tatsächlich einen klinischen Benefit bringen. Anders gefragt, kann man mit einer kurzen Beatmung bei gesunden, elektiven Patienten intraoperativ eigentlich wirklich viel falsch machen, also respiratorische Komplikationen produzieren? Die realistische Antwort darauf ist wahrscheinlich, dass der Mensch eben viel aushält (eine meiner ersten und wesentlichsten Erkenntnisse in der Anästhesie, Notfall- und Intensivmedizin) und eine „normale“ Beatmung eines (zumindest lungen-)gesunden Patienten in den seltensten Fällen einen klinischen relevanten Schaden nach sich zieht.
Aber das heißt einerseits nicht, dass es nicht doch Patienten gibt, die WEGEN der gewählten Beatmungsstrategie Komplikationen entwickeln und andererseits wir nicht sowieso immer bestrebt sein sollten die bestmögliche Therapie anzubieten, auch wenn der klinische Benefit nicht immer riesig oder unmittelbar offensichtlich ist. Jetzt bin ich doch kurz philosophisch geworden, bitte um Entschuldigung, zurück zum Thema und rein in die Details.
Ich bin ja ein großer Fan davon, vor und auch während der Intubation möglichst viel Sauerstoffreserven zu haben, wie hier ersichtlich ist: Sauerstoffphysiologie.
Das ist nämlich ein wesentlicher Faktor zur Vermeidung von Atemwegskomplikationen . Wenn der Atemweg dann aber gesichert ist, spricht sehr viel dafür, die inspiratorische Sauerstoffkonzentration möglichst gering (=physiologisch) zu halten. Resorptionsatelektasen und oxidativer Stress tragen zu postoperativer Morbidität bei und auch die Hyperoxie-bedingte Vasokonstriktion schränkt möglicherweise die Perfusion in wesentlichen Organen (Herz und Hirn) ein. Für einen höheren intraoperativen FiO2 spricht nur die möglicherweise positive Auswirkung auf postoperative Wundinfektionen (wobei hier viele andere Faktoren wahrscheinlich eine wesentlichere Rolle spielen) und das Schaffen einer Sicherheitsreserve wenn die Möglichkeit besteht den gesicherten Atemweg intraoperativ zu verlieren (z.B. bei Eingriffen im Bereich des Mund-Kiefer-Gesichtsbereichs).
Neben einem möglichst niedrigen FiO2 macht aber auch die Anwendung anderer aus der ARDS Therapie bekannten, lungenprotektiven Strategien intraoperativ Sinn. Die Kombination aus niedrigem Tidalvolumen, Recruitmentmanövern und PEEP konnte zumindest in einer Patientengruppe mit erhöhtem Risiko für postoperative pulmonale Komplikationen das Risiko um 69% senken. Ähnlich wie aktuelle Arbeiten beim ARDS zeigen, scheint jedoch auch intraoperativ der Beatmungsdruck (Peak pressure, aber wahrscheinlich vor allem driving pressure) der bessere Parameter zur Steuerung zu sein als das Tidalvolumen. Der beste intraoperative PEEP konnte bis jetzt noch nicht gefunden werden, was wahrscheinlich daran liegt dass es diesen einen Wert eben nicht gibt, sondern der ideale PEEP für jeden Patienten individuell gefunden werden muss, aber hier erwarten wir noch einige Studien in der nächsten Zeit.
Wenig überraschend ist wahrscheinlich auch, dass Rauchen (neben ganz vielen anderen schädlichen Auswirkungen) das Risiko für postoperative pulmonale Komplikationen drastisch erhöht. Leider zeigen sich die positiven Auswirkungen des Aufhörens erst so richtig nach ca. 2 Monaten, dennoch ist die perioperative Phase eine wichtige Gelegenheit für Patienten mit dem Rauchen aufzuhören. Deshalb ist es meiner Meinung nach eine wichtige ärztliche Aufgabe Patienten zum Aufhören zu bewegen, vor allem weil auch schon kurze Ratschläge hilfreich sind.3
Bei Patienten mit pulmonalen Risikofaktoren, welche bereits ein hohes Risiko respiratorischer Komplikationen mitbringen, ist sicherlich die wichtigste, weil fundamentalste Strategie perioperativ wenn möglich eine Beatmungsnotwendigkeit überhaupt zu verhindern und großzügig regionalanästhesiologische Techniken einzusetzen. Aber auch die Kombination aus Vollnarkose mit regionalanästhesiologischen Verfahren kann hier vorteilhaft eingesetzt werden.
Es ist ein wesentliches Merkmal guter anästhesiologischer Versorgung für jeden Patienten das Narkoseverfahren mit dem besten Risikoprofil zu finden (und nicht dass man bei jedem noch so kranken Patienten eine Vollnarkose „schafft“).
Ansonsten gilt es bei pulmonalen Vorerkrankungen natürlich auf die jeweilige Pathologie einzugehen und vorbereitet zu sein. Als Beispiel sei hier die Evaluierung mittel STOP-BANG zur Identifizierung eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms genannt.
Ist eine endotracheale Intubation inklusive Muskelrelaxierung notwendig, so ist die Überwachung der neuro-muskulären Übertragung mittels Nervenstimulation unumgänglich.4 Der Anteil an Patienten mit ungenügender Erholung der neuro-muskulären Übertragung wird konstant unterschätzt, genauso wie die tatsächliche Erholung beim individuellen Patienten nach wie vor häufig überschätzt wird, wenn kein objektives Monitoring verwendet wird.
Warum das dementsprechende Monitoring dennoch von vielen Anästhesisten noch immer nicht standardmäßig eingesetzt wird ist mir weiterhin rätselhaft, scheint aber möglicherweise darin begründet, dass unmittelbare Komplikationen einer Rest-Relaxierung wie etwa die Hypoxie äußerst selten sind und die häufigeren Spätkomplikationen wie z.B. Pneumonien nach Mikroaspiration nach ein paar Tagen häufig nicht mehr mit der Restrelaxierung in Zusammenhang gebracht werden.
Für Patienten mit einem hohen Risiko für ein postoperatives respiratorische Versagen stellt die nicht-invasive Beatmung (NIV) eine wesentliche Therapieoption dar. Insbesondere für Patienten die eine NIV mittels Maske oder auch Helm nicht tolerieren gibt es mittlerweile durch die High flow nasal cannulae (HFNC) eine gute Alternative.
2 Punkte, die in dem Review nicht erwähnt, aber für das Auftreten postoperativer pulmonaler Komplikationen relevant sind, erscheinen mir noch wichtig: Die Flüssigkeitsbilanz und die Dauer der Operation.
Zum Thema intraoperative Flüssigkeitstherapie finden ja gesamte Kongresse statt und eigentlich kann niemand sicher sagen wieviel von welcher Flüssigkeit am besten ist (erleben wir vielleicht wieder den Aufstieg kolloidaler Lösungen5?). Die Auswirkungen einer zu großzügigen Flüssigkeitszufuhr auf die Lunge sollten aber nicht unterschätzt werden und Flüssigkeitstherapie daher auch mit Bedacht durchgeführt werden.
Und ein Punkt der mir sehr am Herzen liegt ist, dass nicht nur wir Anästhesisten für postoperative pulmonale Komplikationen verantwortlich sind, sondern genausogut unsere Partner auf der anderen Seite des Vorhangs. Es macht einfach einen Unterschied ob ein geschickter Chirurg die Operation mit minimalem Gewebetrauma in 1 Stunde durchführt, oder ob der Patient 4 Stunden am Rücken liegend beatmet werden muss, während der Chirurg so viel Gewebe zerstört, dass die Stress-Response ungleich höher ist. Leider können wir diesen Faktor nur sehr begrenzt beeinflussen.
Zusammenfassend sind für mich also die wesentlichsten Punkte:
- gute präoperative Evaluierung um pulmonale Risikopatienten zu erfassen
- großzügiger Einsatz regionalanästhesiologischer Verfahren
- intraoperativ Anwendung von Beatmungsstrategien die in der Intensivbeatmung und bei ARDS etabliert sind (niedriger FiO2, Atemhubvolumen ca. 6ml/kg Körpergewicht, niedriger Beatmungsdruck, PEEP, Recruitmentmanöver)
- Neuromuskuläres Monitoring verwenden
P.s.: Alle Referenzen die nicht im Originalartikel aufgelistet sind, habe ich extra angeführt. Ansonsten finden sich alle Originalarbeiten in der Referenzenliste des Reviews.
FOAMina Links:
Quellen:
1 Mills G. Respiratory complications of Anaesthesia. Anaesthesia 2018 Jan; 73(S1): 25-33
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/anae.14137/full
2 Yongfang Z et al. Early application of airway pressure release ventilation may reduce the duration of mechanical ventilation in acute respiratory distress syndrome. Intensive Care Med. 2017; 43(11): 1648–1659.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5633625/
3 Stead L et al. Physician advice for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev. 2013 May 31;(5):CD000165.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23728631
4 Hunter J. Reversal of residual neuromuscular block: complications associated with perioperative management of muscle relaxation. Br J Anaesth. 2017 Dec 1;119(suppl_1):i53-i62.
https://academic.oup.com/bja/article-abstract/119/suppl_1/i53/4638464?redirectedFrom=fulltext
5 Jooste A et al. Crystalloid versus Colloid for Intraoperative Goal-directed Fluid Therapy Using a Closed-loop System: A Randomized, Double-blinded, Controlled Trial in Major Abdominal Surgery. Anesthesiology 2018 Jan 1; 128:55-66
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Sehr schöner Artikel.
Man kann nicht oft genug sagen, dass JEDER das Relaxometer (quantitative Messung) benutzen soll, wenn der Patient ein NDMR bekommt. Oft genug denken die alten Kollegen „der holt doch gut Luft, da kann der Tubus auch raus“. Ganz ganz schlimm.
… und ja APRV ist echt super … am Anfang etwas gruselig bei einer I:E-Ratio von 10:1 und Ansage der Intensivschwester, dass das Beatmungsgerät heute irgendwie komisch klingt 😉
Lg aus Leipzig
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