Die ersten paar Nachtdienste sind vorbei und ich muss zugeben, trotz der ganzen Vorbereitung und genügend präklinischen Nachtdiensten, bin ich recht blauäugig in den ersten Dienst gestolpert.
NotfallpatientInnen sind dann doch etwas anderes als das elektive Tagesprogramm.
Der Gedanke, dass die nächste Hilfe nicht im OP nebenan, sondern ein paar Minuten entfernt ist, beruhigt einen auch nicht unbedingt.
Eine Sache, die mir extrem geholfen hat, auch nach 20 h Dienst nichts zu vergessen und mich selber ein bisschen sicherer zu fühlen, ist mir eine Liste zusammen zu stellen.
Wie diese Liste aussieht ist wahrscheinlich vollkommen egal und extrem fachspezifisch, aber dazu vielleicht später einmal mehr.
Was ich aber auch gemerkt habe: eine Liste zu haben ist die eine Sache, aber sich dann wirklich die Zeit zu nehmen alles in Ruhe zu checken, wenn das halbe OP Team einem um ein Uhr in der Nacht genervt über die Schulter schaut, ist die andere Sache.
Die wichtigsten Sachen bringen sie einem im Studium halt nicht bei, aber Durchsetzungsvermögen gehört wohl in jedem größeren Betrieb zum täglichen Leben dazu.
Ein Problem, dass ich in meinem zweiten Nachtdienst hatte, hat mich nicht ganz losgelassen und so habe ich mich auf die Suche nach Evidenz gemacht.
Es ging um eine gesunde, junge Frau, ohne wesentliche Vorerkrankung, die als einzige Auffälligkeit in ihrem Labor einen Kaliumwert von >6 mmol/l hatte.
Zum Glück konnten die erfahrene Anästhesieschwester („die ham sicher nur die Blutabnahme verhaut“) und die direkt abgenommene venöse BGA meine aufkommende Nervosität schnell wieder zerstreuen.
Dieses Problem der präanalytischen Veränderung durch Hämolyse trifft einen im Alltag gar nicht so selten. Hierbei kommt es meist durch zu langes Stauen bei der Abnahme oder falsche Transport- bzw Lagerungsbedingungen der Proben, zu einer Auflösung der Erythrozyten vor der laborchemischen Untersuchung. Dies kann zu einer Erhöhung von Stoffen in der Auswertung führen, die vermehrt intrazellulär vorkommen. Außer Kalium fallen darunter auch zum Beispiel LDH und die Transaminasen.
Dazu ganz passend gab es auf EMCRIT vor kurzen einen guten Artikel über die Hyperkaliämie und einige Erkenntnisse daraus habe ich hier zusammengefasst.
Kaliumhaushalt:
Der gesamte extrazelluläre Raum enthält nur ca 60-80 mmol Kalium. Interessant wird dieser Fakt erst, wenn man sich vor Augen hält, dass das Trinken von ein paar Gläsern Orangensaft schon eine Kaliumzufuhr von etwa 40 mmol bedeutet.
Der Körper muss also schnell auf diese Schwankung reagieren können. Einerseits passiert das natürlich über Ausscheidung (hauptsächlich Niere), andererseits und vor allem viel schneller, über einen Kalium-Shift mittels Na/K-ATPase in die Zelle. Hier liegt eine Kaliumkonzentration von ca 150 mmol/l vor und so fällt das bisschen mehr nicht weiter auf.
Insulin und beta2-adrenerge Stimulation setzen direkt und indirekt die Na/K-ATPase in Gange und shiften so Kalium in die Zelle.
Auch der pH-Wert spielt eine wichtige Rolle. Damit in der Zelle anfallende H+-Ionen über Lunge und Niere ausgeschieden werden können, müssen sie es erst einmal aus der Zelle hinausschaffen. Das gelingt ihnen vor allem mit Hilfe des Na+/H+-Antiports.
Das so im Zellinneren angereicherte Natrium gelangt über die Na/K-ATPase wieder nach extrazellulär und somit shiftet Kalium in die Gegenrichtung, was den Effekt von NaBi bei der Hyperkaliämie erklärt.
Der Mythos wonach man bei hyperkaliämen PatientInnen nur NaCl-Infusionen geben darf ist übrigens falsch. NaCl- Infusionen führen bei normaler Anionenlücke zu einer metabolischen Azidose und somit eher zu einem Anstieg des extrazellulären Kaliums.
Die bei uns gebräuchlichen Infusion wie Ringerlaktat (4 mmol/l Kalium) und Elomel isoton (5 mmol/l Kalium) sollten in der Regel zu keinem relevanten Kaliumanstieg führen.
Hier mehr dazu aus einem spitzen Artikel von #dasFOAM.
Die Hyperkaliämie ist laut ERC die Elektrolytstörung, die am häufigsten mit einem Kreislaufstillstand assoziiert ist.
Ursachen dafür gibt es natürlich viele, ich habe sie für mich im Kopf in 3 Kategorien eingeteilt:
- Zu viel rein
- Zu wenig raus (NINS, Aldosteronantagonisten, etc)
- Endogene Kaliumfreisetzung (Rhabdomyolyse, Verbrennung, Trauma, crush syndrom, metabolischer Shift, etc)
Aber auch scheinbar harmlose Medikamente, wie z.B. NSARs, ACE Hemmer, ß-Blocker usw können in Verbindung mit einer Niereninsuffizienz zu einer relevanten Hyperkaliämie führen.
Symptome:
Die wichtigsten Tools in der Diagnostik der Hyperkaliämie sind neben dem Labor (in der Präklinik nicht immer vorhanden), die Anamnese (NINS, dialysepflichtige PatientInnen, etc) und das EKG.
Gerade in der Akutphase empfehlen die ERC Guidelines eine Therapie anhand von EKG Veränderungen, um nicht auf das Labor warten zu müssen.
Dummerweise kann die Hyperkaliämie so ziemlich jede EKG-Veränderung auslösen (so z.B. auch Endstreckenveränderungen, die dann als STEMI auf dem Kathetertisch landen).
Die wichtigsten fangen zum Glück (fast) alle mit B an.
(P)eaked T waves
Broad (QRS Verbreiterung)
Brady
Blocks (AV Blöcke)
Bizarre

emcrit (5)
Doch wie sensitiv sind diese EKG-Veränderungen eigentlich wirklich und zahlt es sich, zumindest in der Präklinik, überhaupt aus, nach ihnen Ausschau zu halten?
Die bisherige Literatur zu diesem Thema war nicht so berauschend. So zeigte z.B. eine Studie von Montague et al aus 2008, dass nur 18% ihrer PatientInnen (n=90) mit einem Kalium >6,0 mmol/l eine neu aufgetretene, symmetrische T-Wellenerhöhung hatten. Jedoch bezog sich diese Studie rein auf T-Wellenerhöhungen und konnte damit lediglich zeigen, dass diese alleine ein schlechter Marker für etwaige Hyperkaliämien ist.(1)
Eine heuer erschienene Studie von Durfey et al untersuchte EKG-Veränderungen bei 188 PatientInnen mit einem Kaliumwert >6,5 mmol/l.
Als EKG-Veränderungen zählten dabei:
T-Wellenerhöhung
PR-Verlängerung
QRS-Verbreiterung
Bradykardie (<50bpm)
2. und 3. gradige AV-Blöcke
Junktionale Rhythmen
Ventrikuläre Ersatzrhythmen
Ventrikuläre Tachykardie
71% der eingeschlossenen PatientInnen hatten wenigstens eine dieser EKG-Veränderungen und 43% sogar mehrere.
Außerdem wurde in der Studie ausgewertet, wie viele dieser PatientInnen überhaupt Symptome entwickelten (symptomatische Bradykardie, VT, Kammerflimmern, Kreislaufstillstand, Tod innerhalb von 6 Stunden nach Blutabnahme).
Bei 28 PatientInnen (15%) kam es zu Symptomen, wobei die symptomatische Bradykardie die häufigste war. Die mittlere Zeitspanne zwischen EKG und Symptombeginn lag bei 47 Minuten, was uns zumindest in der Präklinik schon zu denken geben sollte.
Interessanterweise hatten von diesen 28 PatientInnen alle zumindest eine EKG-Veränderung, wobei die Häufigste eine QRS-Verbreiterung (86%) und nicht, wie erwartet, eine erhöhte T-Welle (keine PatientInn mit isolierter T-Wellenerhöhung) war.(2)
Was können wir daraus lernen?
- T-Wellenerhöhung alleine hat eine schlechte Sensitivität
- Alle PatientInnen mit symptomatischer Hyperkaliämie hatten zumindest eine passende EKG-Veränderung
- Das Risiko für eine symptomatische Hyperkaliämie steigt sukzessiv mit erhöhter T-Welle, PR-Verlängerung, QRS-Verbreiterung und schlimmer werdender Bradykardie
- Gerade in der Präklinik kann die Zeit bis zum ersten Labor zu lange sein
- Bei regelmäßigen Breitkomplextachykardien sollte man an die Hyperkaliämie denken
Therapie:
In den ERC Guidelines richtet sich die Therapie nach der Höhe der Kaliumkonzentration und nach dem Vorhandensein von EKG-Zeichen.
In aufsteigender Reihe und mit steigender Kaliumkonzentration werden folgende Therapieansätze empfohlen:
- Entfernung aus dem Körper (Kaliumaustauschharze, Wirkungseintritt nach ca. 1-3 h, wird sehr kontrovers diskutiert, va in der Akutsituation keine Bedeutung)
- Kaliumshift nach Intrazellulär mittels Glukose/Insulin, Natriumbikarbonat und beta 2 Sympathomimetika
- Dialyse in Erwägung ziehen
- Bei schwerer Hyperkaliämie und EKG-Zeichen bzw bei Instabilität und klinischen Verdacht Kalziumgabe (wichtigste Maßnahme in der Akutsituation)
Da die Kalziumgabe die wichtigste Akuttherapie darstellt, lohnt sich ein etwas genauerer Blick.
Kalium als wichtigstes intrazelluläres Elektrolyt ist entscheidend daran beteiligt das Ruhemembranpotential und das Schwellenpotential der Myozyten konstant zu halten.
Steigt nun die extrazelluläre Kaliumkonzentration, so verschieben sich auch die zwei Potentiale. Das Ruhemembranpotential steigt von -90 auf ca -80 mV und das Schwellenpotential von -75 auf ca -70 mV, dadurch kommen sich die zwei näher und das wiederum führt zu einer erhöhten Arrhythmiegefahr. Außerdem führt das Absinken des Ruhemembranpotentials zu einem langsameren Na-Einstrom in der Phase 0 der Depolarisation und somit zu einer QRS-Verlängerung.

Normales Aktionspotential vs Aktionspotential bei Hyperkaliämie (gestrichelt) (3)
Ein Effekt der Kalziumgabe ist die Anhebung des Schwellenpotentials auf ca -65mV, was den ursprünglichen Abstand zwischen Ruhe- und Schwellenpotential wiederherstellt und somit zu einer Mambranstabilisierung führt.
Aber auch auf den Na-Einstrom hat Kalzium einen beschleunigenden Effekt und gleicht somit die Hyperkaliämie aus.
Der Wirkeintritt von Kalzium tritt ca nach 1-3 Minuten auf und hält ca 30-60 Minuten an, was eine zusätzliche bzw kurative Therapie immer noch nötig macht.
Die ERC 2015 empfehlen eine Gabe von 10 ml einer 10%igen Kalziumchloridlösung oder 30 ml einer 10%igen Kalziumglukonatlösung über bis zu 10 min, wobei Kalziumglukonat den Vorteil hat, nicht zu Nekrosen bei Extravasation zu führen.(4)
Quellen:
- Montague BT, Ouellette JR, Buller GK. Retrospective review of the frequency of ECG changes in hyperkalemia. Clin J Am Soc Nephrol. 2008;3(2):324-30.
- Durfey N, Lehnhof B, Bergeson A, Durfey SNM, Leytin V, McAteer K, et al. Severe Hyperkalemia: Can the Electrocardiogram Risk Stratify for Short-term Adverse Events? West J Emerg Med. 2017;18(5):963-71.
- Parham WA, Mehdirad AA, Biermann KM, Fredman CS. Hyperkalemia revisited. Tex Heart Inst J. 2006;33(1):40-7.
- ERC Guidelines 2015.
- https://emcrit.org/emcrit/critical-hyperkalemia/
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