To err is human – irren ist menschlich. Alle wissen es, keiner will es zugeben.
Wer hat es noch nicht erlebt: Missverstandene Kommunikation führt zu einer unbeabsichtigten Verabreichung eines Medikamentes. Ein möglicher Fehler wird verschwiegen, weil die heutige Oberärztin schlecht gelaunt ist und man sich ihrer Tadelung nicht vor der gesamten Mannschaft aussetzen will. Oder man legt den ZVK jetzt nicht ultraschall-gezielt, weil man es nicht so gut kann, müde ist, noch nichts gegessen hat oder endlich ins Bett will.
Dies sind alles Situationen, die unter dem Nenner „human factors“ fallen und mit dem sich Jones et al. im Review Artikel: „Human factors in preventing complications in anaesthesia“ auseinandersetzen.

Abb. 1. Hell ist relativ.
Wie man sieht: Sich irren kann schnell gehen. Oder hättest du dir gedacht, dass Feld A und B dieselbe Farbe besitzen? Faszinierend oder? Sogar in einer stressfreien Umgebung (wie hier vor deinem Computer) fällt der menschliche Geist auf Illusionen rein. Was passiert dann erst mit uns in einer Stresssituation? Abhängig von Organisations-/Umgebungs- und persönlichen Bedingungen kann unsere Leistung besser oder schlechter sein. Mittlerweile weiß man, dass Stress kognitive und technische Fähigkeiten immens beeinträchtigen kann:

Abb. 2: Yerkes-Dodson-Kurve.
In diesem Sinne:
Competence = What I can do
.
Performance = What I actually do!
– faktormens.ch
Weiter geht’s mit dem nächsten Teil der „Complications edition“ des Anesthesia-Journals:
Um eine Aufgabe richtig und sicher zu erledigen, braucht es nicht nur die technischen Fertigkeiten, sondern eben auch die sogenannten „non technical skills“.
Die Universität Aberdeen hat mit den „Anesthesia Non Technical Skills“ (ANTS) dazu eine grundelgende Struktur geschaffen, was solche Skills beinhalten sollten:

aus: R. Flin, R. Patey, R. Glavin, N. Maran; Anaesthetists‘ non-technical skills, BJA: British Journal of Anaesthesia, Volume 105, Issue 1, 1 July 2010, Pages 38–44, https://doi.org/10.1093/bja/aeq134
In der Zwischenzeit findet der Faktor Mensch auch in diversen Leitlinien Einzug. Die Difficult Airway Society widmet sogar ein komplettes Kapitel diesem Thema.
Um, wieder einmal, NAP4 (eine landesweite, prospektive Studie zu Atemwegszwischenfällen im Vereinigten Königreich) zu zitieren: Der Faktor Mensch war bei jedem Zwischenfall von relevanter Bedeutung. Dies nimmt nicht wunder. Ich habe sowohl mich selbst, als auch das „System“ mehrmals wiedererkannt. In der Originalpublikation gibt es eine Auflistung dieser Faktoren und ich kann nur allen raten, sich diese durchzulesen.
Im Endeffekt handelt es sich immer wieder um ähnliche Themen:
- mangelhafte Kommunikation
- mangelhafte Ausbildung
- mangelhaftes Teamwork
- Equipmentfehler
- inadäquate Systeme oder Prozesse führen zu
- Verlust des Situationsbewusstseins und
- mangelhafter Entscheidungsfindung
Die Autoren arbeiteten verschiedene Komponenten des Faktors Mensch heraus, die ich hier sinngemäß und mit den für mich wichtigsten Aspekten wiedergebe.
Kommunikation.
Es wird geschätzt, dass 43% der Fehler in Operationssälen einer fehlerhaften Kommunikation geschuldet sind. In zeitkritischen Situationen ist es wichtig
- klar
- kurz & bündig
- empathisch und mit der Bereitstellung einer
- Feedbackschleife
zu kommunizieren.
Was hilft noch?
- die angesprochene Person mit ihrem Namen benennen
- eine Atmosphäre zu schaffen, die zum offenem Informationsaustausch einlädt
- die Vorstellung mit Namen und Aufgabe bei Team Time-Out
Was sind Hindernisse?
- schlechte Kommunikationsfertigkeiten
- schlechte Kommunikation zwischen „Juniors“ und „Seniors“
- Lärm (->“ crowd control“)
Teamwork- the sum is greater than its parts.
Ein Team besteht aus Individuen. Aber es ist wichtig aus diesem Team die maximal möglichen mentalen und körperlichen Problemlösungsfähigkeiten herauszuholen.
Wichtig für gut funktionierendes Teamwork sind
- gutes Teamleading und
- gutes „followership“, also das aktive Engagement der „Follower“, um das gemeinsame Ziel der Gruppe zu erreichen
Ebenfalls wichtige Aspekte zum Teamwork aus diesem Artikel:
Gutes Teamwork wird assoziiert mit erhöhter Produktivität, Innovation und Zufriedenheit in der Arbeit.
Und: Teams mit einem ähnlichen Gedankenmodell („shared mental model“) handeln Notfälle schneller ab – nicht unerheblich z.B. bei der Schockraumversorgung.
Unhöflichkeit („Rudeness“) – und das sollten wir alle bedenken- verschlechtert hingegen die Teamperformance. (2,3)
Situationsbewusstsein.
Where have we come from? Where are we now? Where are we going?
„Situational awareness“ bedeutet die kontinuierliche Überwachung der Aufgabe, Erkennen von Ereignissen, die Veränderungen in der Umgebung. Dies setzt natürlich Wachsamkeit voraus. In Notfallsituationen sind hier regelmäßige Updates vom Teamleader für eine effektive Teamarbeit wichtig.

aus: Jones et al. | Human factors in preventing complications in anaesthesia Anaesthesia 2018, 73 (Suppl. 1), 12–24,
Menschliche Fehler –alles Käse?
Laut dem Schweizer Käse Modell nach Reason, passieren Fehler immer dann, wenn sich die Löcher der Käsescheiben (= Unvollkommenheit der Sicherheitsmaßnahmen) so anordnen, dass man einen Pfeil hindurchschießen kann.
Das Parmesanmodell, eine andere Veranschaulichung, geht davon aus, dass bei jeder Vernachlässigung optimaler Patientenversorgung sich die Wahrscheinlichkeit eines bestmöglichen Outcomes ein klein wenig verschlechtert.
„In this analogy, small shavings from the cheese occur every time our practice contributes to substandard practice; ‘with each shave – no matter how small – we remove from the whole’, thereby decreasing the chances of optimal patient outcome.“

Abb 3.: Schweizer-Käse-Modell nach Reason
Der Operationssaal.
Der OP ist ein Hochrisiko-Bereich, in welchem Fehler katastrophale Konsequenzen haben können.
Wie kann man diesem Umstand nun entgegenwirken?
Handover:
Bei jeder Übergabe besteht die Gefahr, dass Informationen verloren gehen. Checklisten und Protokolle verbessern die routinemäßige Übergabe von Patienten.
Hierarchie:
„Speaking –up“: Die Fähigkeit, fehlerhafte Entscheidungen wirksam in Frage zu stellen, ist wesentlich, um Schäden zu verhindern. Aber dies ist natürlich schwierig, wenn einem Jungarzt ein cholerischer Oberarzt gegenübersteht. Die Angst davor falsch zu liegen, seinen Ruf zu verlieren, falsch eingeschätzt zu werden, eine Beziehung zu gefährden oder eine natürliche Konfliktvermeidung sind Gründe, warum dies nicht leicht ist.
Möglichkeiten um flachere Hierarchien zu schaffen:
- Mitarbeiter dazu ermutigen, sich gegenseitig mit ihrem Vornamen anzusprechen.
- versuchen, eine integrative Atmosphäre zu schaffen
- Oberärzte sollten gezielt Jungärzte dazu einladen, Fragen zu stellen und Unsicherheiten zu äußern
- regelmäßige Bewertung der Oberärzte durch Assistenzärzte
- Einführen (auf Department- oder nationalem Level) der „two challenge rule“.
Video
Checklisten.
Die Akzeptanz dieser kognitiven Hilfsmittel erfordert eine gewisse Demut in einem Beruf, der für Unabhängigkeit und Autorität bekannt ist. Checklisten stellen nicht die Autonomie in Frage, sondern erleichtern vielmehr jene Aufgaben, die sich immer wieder wiederholen (wie eben dieselben Punkte, die man jeden Patienten vor der Narkose fragen sollte oder beim Team Time-Out gestellt werden).
Solch kognitiven Hilfsmittel können auch in anderen Situationen von Nutzen sein. Checklisten verringern in Notfallsituationen die Zeit bis zur Erledigung einer Aufgabe, verbessern Teamfähigkeit, Kommunikation und Leistung. Und es werden ebenso weniger zu erledigende Punkte dadurch verabsäumt. In Simulationstrainings für Anästhesisten konnte gezeigt werden, dass die Verwendung von Checklisten das Management von Lokalanästhetikaintoxikationen und MH-Notfällen verbessert.
Die Verwendung solcher Hilfsmittel kann auch als ein Zeichen der Stärke währenddessen ihre Nichtverwendung als Schwäche und vielleicht als unbegründetes Risiko angesehen werden kann.
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Der Faktor Mensch wird zwar mittlerweile in zahlreichen Leitlinien, Büchern und Konferenzen adressiert, aber findet bis jetzt noch relativ wenig Eingang in unsere Ausbildung sowie in unser Bewusstsein. Ich denke dies ist ein Thema, bei dem wir alle noch Entwicklungspotenzial aufweisen und unser Verhalten optimieren können. Auch mir fällt auf, dass diese Komponente in vielen brenzligen Situation eine enorm wichtige Rolle spielt. Dies kam leider im Fall der Elaine Bromiley („Just a routine operation„) tragisch zum Vorschein.
Speziell die Abneigung gegenüber Checklisten kann ich nicht ganz nachvollziehen-stellen sie doch nur den Minimalstandard der Patientenversorgung dar. Dennoch werden sie oft belächelt und Team Time-Outs nur halbherzig durchgeführt. Meiner Meinung jedoch haben sie definitiv großen Stellenwert – korrekt ausgeführt und mit sinnvollen Punkten wahrscheinlich einen noch höheren.
Ich persönliche halte sehr viel vom ESA-Emergency Quick Reference Guide als Notfallscheckliste für Anästhesisten.
Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) hat unter der Führung von Prim. Dr. Helmut Trimmel, MSc eine deutsche Version herausgegeben.
To err is human, to cover up is unforgivable, and to fail to learn is inexcusable.
verwandte FOAMina-Themen:
Blackbox-Thinking.
Den Stress besiegen!
Warum wir wider besserer Evidenz trotzdem anders handeln….
Literatur:
- Jones et al. Human factors in preventing complications in anaesthesia.
Anaesthesia 2018, 73 (Suppl. 1), 12–24 - Riskin A et al. The Impact of Rudeness on Medical Team Performance: A Randomized Trial. Pediatrics 2015;136(3):487-95.
- Riskin A et al. Rudeness and Medical Team Performance.Pediatrics Feb 2017, 139 (2) e20162305; DOI: 10.1542/peds.2016-2305
Abbildungen:
- Online im Internet: URL: de.wikipedia.org
Original by Edward H. Adelson, this file by Gustavb – File created by Adrian Pingstone, based on the original created by Edward H. Adelson [Stand 2018-02-11] - Online im Internet: URL:http://www.mentalmed.de/blog/archives/33-Stress-und-Leistung.html %5BStand 2018-02-11]
- Online im Internet: URL: https://securityandpeople.com/2017/07/human-errors-in-cyber-security-a-swiss-cheese-of-failures/ %5BStand 2018-02-11]
- Featured Image: Online im Internet: URL: de.wikipedia.org Eisenbahnunfall Gare Montparnasse, 1895 [Stand 2018-02-11]
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Hallo,
das ist ein sehr interessanter Beitrag mit vielen wichtigen Aspekten zum Thema „Umgang mit Fehlern“.
Ich würde noch ergänzen, dass eine Feedbackrunde nach jeder gemeinsamen Aktion (z.B. Operation) sehr hilfreich sein kann. Eine Feedbackrunde, in der jedes Teammitglied offen aussprechen kann, was gut und was nicht gut gelaufen ist. Damit alle aus den Fehlern lernen können und sie nicht unbedingt selbst machen müssen.
Ich wünsche weiterhin viel Erfolg.
Viele Grüße
Peter Cartus von Abenteuer-Fehlerkultur.de
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Hallo Peter, da kann ich dir nur voll und ganz zustimmen!
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