Wir freuen uns, unseren 1. Gastbeitrag sowie das 1. Fallbeispiel eines spannenden präklinischen Einsatzes auf FOAMina präsentieren zu können. Kostja Steiner, der Autor dieses Beitrages, ist Anästhesist am LKH Graz Süd-West, Standort West und Notarzt.
Beim Einsteigen in´s NEF zaubert die Einsatzmeldung am Display ein durchaus unangebracht süffisantes Lächeln auf mein Gesicht. „Atemnot in der Gemeinschaftsdusche, Pat. Männlich ca. 30a“.
Mal ganz ehrlich, währe es Ihnen anders gegangen?
Die Anfahrt dauert etwa 6 Minuten und schon belehrt uns die Wirklichkeit eines Besseren. In einer maximal engen „Gemeinschaftsdusche gibt es am Gang“-Wohnsituation liegt ein Patient krampfend am Boden. Nicht wirklich positiv für den Patienten spricht das aschfahl-/bläuliche Hautkolorit. Aber auch das reime ich mir erst im Nachhinein zusammen.
Minute 0
Patient, ca 30a liegt krampfend am Boden (man hört die Zähne knirschen). 2 weitere Männer befinden sich im Raum von denen einer nur „Der stirbt“ abwechselnd mit „Aaaaahhhhhh“ von sich gibt und der andere sehr hilfsbereit die Wände der Dusche aushängt um zumindest ein wenig Platz zu schaffen.
Mein erster Gedanke: „ ein Epi?“ Unsere ersten Maßnahmen: O2-Gabe und ein Zugang in die fingerdicke V. jug. ext. Links. Die Versorgungszeit bis hierher liegt tatsächlich bei ca. 1er Minute.
Minute 2
Der Patient krampft immer noch.
„So ganz passt das nicht zusammen“ schleicht sich als Gedanke in mein Unterbewusstsein ein, aber konkret zuordnen kann ich meine unterbewußten Zweifel noch nicht. Der Patient äußert sich nach 5 mg Midazolam zur Situation und offenbart, dass hier gar nichts so läuft wie von uns vermutet/erhofft.
Seinen Unmut tut der Patient kund, indem er zwar nach ca. 30 Sekunden seinen Krampfanfall beendet aber weitere 30 Sekunden danach mit einem letzten Aufbäumen in den Kreislaufstillstand übergeht – ganz und gar nicht unserem primären Plan folgend. Der hätte nämlich in etwa so ausgesehen: „ein bisserl Midazolam – Krampf hört auf – Patienten abliefern und dann Eis essen gehen“.
Minute 3 – 5
Etwas hektisches, weil so nicht unbedingt erwartet, beginnen der Herzdruckmassage sowie mit der Beutel-Maskenbeatmung (die glücklicherweise maximal problemlos funktioniert).
Der Zufall hilft uns hier ein wenig, denn wir sind an diesem Tag ausnahmsweise zu dritt am NEF.
So sind zumindestens 6 Hände da.
Ratz-Fatz landet auch schon ein Laryngoskop und ein Tubus neben mir. Nutzt aber noch nix da die Massetermuskulatur noch derart vom vorangehenden Krampfanfall begeistert ist, dass sich die Zähne auch mit etwas forcierterem Versuch nur 2-3 mm auseinander drängen lassen. Aber wie der versierte Notfallmediziner weis – in dieser Situation nur eine Frage der Zeit. Dennoch versuchen wir das ganze mit ein wenig Suxamethonium zu beschleunigen (100mg).
ca. Minute 5-10
Das Monitoring ist inzwischen vollständig und ein erster Blick aufs EKG zeigt:
Der Junge Mann kanns wirklich und präsentiert eine Breitkomplextachykardie mit einer hierfür eher unüblichen Frequenz von etwa 120/min. Immerhin aber mit zaghaftem Auswurf. Der schnellste ROSC seit Langem.
Die Kollegen mit Transportmöglichkeit sind inzwischen eingetroffen, müssen sich aber mit dem Gangplatz begnügen, da am Ort des Geschehens (der Gemeinschaftsdusche mit etwa 4m2 Platzangebot die sich am Ende eines maximal 1m breiten Ganges versteckt) nicht einmal ein Stehplatz frei ist.
Und jetzt mal ganz ehrlich: Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose ohne weiter zu lesen zu genau diesem Zeitpunkt?
Tja, soweit waren wir in dem Moment auch…
Als unsererseits gerade an Kardioversion gedacht wird und eben jene vorbereitet wird, tut sich der hilfsbereite Herr, der kurz zuvor die Duschwände ausgehängt hat, hervor und teilt uns feierlich mit:
„Der hot Eia gschluckt“
(Dialekt für: „Der hat Eier geschluckt“)
Bei Weitem noch nicht begreifend und in der Situation ein klein wenig zu fokusiert auf andere Dinge erlaube ich mir zu antworten:
„Aha, glaubst der ist allergisch auf Eier und deshalb geht´s ihm jetzt so?“
Maximal insistierend aber mit Engelsgeduld und durchaus dem Ton in dem Eltern schulmeisterlich versuchen ihre ungläubigen Kinder zu überzeugen wiederholt der nette Herr seine Aussage:
„Naaa oida, der hot E-I-A gschluckt“
(Dialekt: „Nein alter, der hat E-I-E-R geschluckt“)
Ich habe es noch immer nicht begriffen (Sie inzwischen vielleicht schon) –werde aber gerade, wenn ich den Blick des netten Herren richtig deute, als naiv und infantil eingeschätzt. Dennoch frage ich:
„Glaubst der hat sich an einem Ei verschluckt?“
Nun, jetzt haben es wohl alle Leser begriffen. Ich in der Situation aber immer noch nicht. Zumindest so lange nicht, bis der nette Herr mich endlich im Klartext aufklärt:
„K-O-K-A-I-I-I-I-I-N E-I-A, Kokaiiiin!“
Nun fällt es mir/uns wie Schuppen von den Augen und auch wir haben begriffen.
Da dürfte wohl ein Kokainei des netten Body-Packers vor uns am Boden nicht ganz dicht gehalten haben. Und da auch der geübteste Kokain-Konsument bei diesem Überangebot sympathomimetisch in die Knie geht hat das Herz wohl nicht ganz mitgespielt und der Krampfanfall war schlussendlich kein Epi sondern ein hypoxischer. Augenscheinlich ein Fall von „auch der geübte Drogenkonsument stößt irgendwann an seine Leistungsgrenze.“
Also Plan B:
Von den reversable causes hätten wir die Hypoxie inzwischen ja schon mal behoben, jetzt wären hier noch die Intoxikation, begleitet von ein wenig „fast Tod“ und diversen Herzrhythmusstörungen die sich ihren Weg derweilen über unserern Monitor bahnen zu erwähnen.
Während Sie hier so gemütlich lesen, ist natürlich nebenbei einiges geschehen.
Der Patient wurde zwischenzeitlich intubiert, vollständig monitiert (EKG, 12er-EKG, NIBD, Pulsoxymetrie, Kapnographie) bekam eine 2. sichere i.v. Leitung am li. Unterarm, die Kollegen vor der Türe bereiteten alles für die Bergung vor und die Exekutive zelebrierte ihr Stelldichein. Auch alle Reanimtionsmedika waren zwischenzeitlich aufgezogen und bereit.
Während des ganzen Procederes erhielt der Patient noch weitere 5 mg Midazolam sowie irgendwann nach der Atemwegssicherung auch noch 50 mg Rocuroniumbromid. All dies passierte irgendwo zwischen ROSC, Intubation und kurz danach.
„Neue Arbeitsdiagnose: Kokainintoxikation mit großen Mengen Kokain, in Folge Herzrhythmusstörung und Kreislaufstillstand“
Das machte das ganze zumindestens etwas einfacher:
Kein Betablocker – wissen wir alle. Evtl. Alphablocker, usw…
Der Patient erhielt relativ rasch 500 µg Fentanyl (unsere Theorie: Narkose aufrecht erhalten und Sympathikus dämpfen) sowie weitere 5 mg Midazolam. In der Folge sank der Blutdruck der nach dem ROSC systolisch bereits wieder 200 mmHg erreicht hatte auf einen Bilderbuchwert von etwa 120 mmHg. Die Breitkomplextachykardie konvertierte als wir gerade kardiovertieren wollten spontan und ohne unser Zutun in einen Sinusrhythmus. In weiterer Folge ziegten sich keine Ischämiezeichen im EKG.
Nach dem wirklich fordernden Transport auf dem Tragetuch und dann weiter mit der Schaufeltrage bis vor die Türe der ein eigenes Kapitel verdient und für den Zuschauer teils grotesk ausgesehen haben muss, erfolgt der problemlose Transport in die aufnehmende Klinik.
Nach kurzer Teamberatung entschieden wir uns für den chirurgischen Schockraum und erbitten das Beiziehen eines Viszeralchirurgens.
38 Minuten nach Eintreffen am Einsatzort konnte der Patinet intubiert, beatmet und stabil an das Schockraumteam übergeben werden. Die Aufrechterhaltung der Narkose erfolgte am Transport mittels Propofol 2%-Perfusor. Eimalig wurde mit Rocuroniumbromid nachrelaxiert.
Wie es dann im Krankenhaus weiterging wird in Kürze der nette Kollege, der hier bloggt, weiterberichten.
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