Nach ein paar wohlverdienten Tagen Pause auf unserem Blog starten wir mit einem schwierigen Thema ins 2. Jahr von FOAMina (das neben diesem spannenden Artikel noch viele weitere Neuigkeiten bringen wird…): „Who am i to decide wether this person is to die today?“ ist der Titel eines Artikels, über den ich vor einigen Tagen gestolpert bin.
In diesem von einem französischen Team um Fassier T. verfassten (und hochrangig im „Annals of Emergency Medicine“ publizierten) Artikel wird mittels semistrukturierter Interviews mit 24 Intensiv- und/ oder NotfallmedizinerInnen und „nonparticipant observations“ versucht, die Vor- und Einstellungen von MedizinerInnen zu Triage und End-of-life Decisions an älteren und kritisch kranken PatientInnen an der Schnittstelle Notaufnahme – Intensivstation zu ergründen. Dieser Artikel beschreibt, dass ärztliche Entscheidungen am Lebensende von Vorurteilen, Kommunikationsproblemen und Heuristiken beeinflusst werden.
Sechs Leitthemen traten in den umfangreichen Analysen (324h Beobachtung!) zu Tage, wenige davon möchte ich hier kurz herausgreifen:
1.: Sowohl positive als auch negative Stereotypen von Alter und älteren Personen, die auf eigenen Erfahrungen beruhen beeinflussten die Entscheidungen. So kamen sowohl Bilder von fitten, noch voll im Leben stehenden 90jährigen als auch von gebrechlichen, dementen 70jährigen – Einschätzungen, die ohne Gespräche mit Angehörigen und nur als punktuelle Entscheidung in der Aktaufnahme nie zu 100% richtig sein müssen und natürlich die Entscheidungen der MedizinerInnen beeinflussten!
2.: Drei Haupt-Kommunikationsmuster fanden sich: Interdisziplinäre Entscheidungsfindung, Entscheidung durch zwei Ärztinnen alleine und Entscheidung durch einen Arzt/ eine Ärztin. Und: Einige Ärztinnen vermieden die schwierige Entscheidung „sterben lassen“ vs. „volle Therapie“ – was naturgemäß zu Unsicherheiten und Konflikten führte.
3.: In der Notaufnahme wurde die Entscheidung als belastender empfunden: mehr Zeitdruck, weniger Informationen zur Vorgeschichte und durch die Angehörigen machten die Entscheidung dort schwieriger als auf der ICU. Außerdem wurde ein Mangel an Training für End-of-life Entscheidungen bemängelt.
4.: Last but not least, besonders wichtig: Während der Entscheidungsfindung kam es oft zur Beeinträchtigung der PatientInnensicherheit bzw der Behandlungsqualität – durch Vernachlässigung von palliativer Behandlung oder verspäteter Intensivbehandlung – je nachdem in welche Richtung die Entscheidung initial tendierte.
Sehr schön bringt vieles auch ein Zitat eines interviewten Arztes auf den Punkt: „CPR ist einfacher. Du folgst einem technischen Algorithmus. (…) du folgst einem „ausgetreten Pfad“!“.
Aufgezeigt werden außerdem Strategien wie man diese „EoL“- Entscheidungen verbessern könnte. So wird die Entwicklung von Skalen empfohlen, die valide Gebrechlichkeit, Status und mentalen Zustand beurteilen und abbilden können. Entscheidungsfindung in Gruppen und „slow down“-Strategien können das Risiko mindern, Entscheidungen zu vermeiden und es fördern, dass Entscheidungen nicht unilateral sondern analytisch, gemeinsam und interdisziplinär getroffen werden. Wir benötigen also auch in diesem Bereich die nötigen Rahmenbedingungen für passende Fortbildungen, Zeit für Gespräche und Entscheidungen sowie die passenden Strukturen zur Unterstützung und Supervision.
Wir werden uns in den nächsten Jahren noch viel mit verbesserter Betreuung von geriatrischen PatientInnen in der Notfallmedizin (sowohl prä- als auch innenklinisch!), End-of-Life Entscheidungen und „Emergency Palliative Care“ beschäftigen müssen. Ist wirklich jede Reanimation notwendig und überhaupt moralisch vertretbar? Wollen unsere PatientInnen überhaupt reanimiert werden oder schränken wir dadurch ihre Autonomie (immer an die 4 medizinethischen Prinzipien von Childress und Beauchamp denken!) zu sehr ein? Oder umgekehrt: Vielleicht wollen manche PatientInnen mit einer für uns eingeschränkt wirkenden Lebensqualität doch reanimiert werden? Sehr komplizierte Fragen…
Quelle:
Who Am I to Decide Whether This Person Is to Die Today? Physicians‘ Life-or-Death Decisions for Elderly Critically Ill Patients at the Emergency Department-ICU Interface: A Qualitative Study. Fassier T. et al., Ann Emerg Med.2015 Nov 24.