Immer wieder wird diskutiert ob Ketamin den Hirndruck erhöht und zur Narkoseeinleitung bei Schädelhirntraumata verwendet werden darf. Lange Zeit wurde dies als Kontraindikation angesehen.
Ein Artikel aus dem Canadian Journal of Emergency Medicine bespricht Mythen und Fakten rund um dieses Thema: (1)
Viele Annahmen bzgl. des ICP-steigernden Effektes beruhen vor allem auf Fallberichten und kleinen Fall-Kontroll-Studien, die in den 1970ern durchgeführt wurden bei denen eine Assoziation mit erhöhtem ICP und abnormen Liquorabfluss (Aquäduktstenose, obstruktive Hydrocephalus etc. – nicht aber SHT) festgestellt wurde.
Rezentere Studien auf neurochirurgischen ICUs (RCTs und prospektive Studien) widersprechen diese Bedenken. (Gut zusammengefasst im o.g. Artikel).
Ein paar hätten sogar einen Steigerung des CPP (cerebral perfusion pressure, CPP = MAP – ICP) gezeigt.
Zum Thema SHT schreiben die Autoren:
Ketamine, with its effect on increasing MAP (and thus CPP), may increase the blood flow to ischemic areas where autoregulation is absent, but the effect of increasing CPP in ischemic brain penumbra remains controversial.
Diese Metanalyse (2) kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Ketamin im Gegensatz zu Opioiden den Hirndruck bei SHT-Patienten nicht erhöht. Weiters gab es keine signifikanten Unterschiede des MAP und des zerebralen Perfusionsdrucks zwischen den beiden Gruppen.
Das Ziel bei Schädelhirntraumata ist es sekundäre Schäden durch Hypoxie, Hyperkapnie und Hypotonie zu vermeiden, denn solche Episoden sind mit einem schlechteren Outcome vergesellschaftet.
„Beim Erwachsenen sollte eine arterielle Normotension mit einem systolischen Blutdruck nicht unter 90 mmHg (altersadaptiert bei Kindern) angestrebt werden.“
– Empfehlung S3 Polytrauma Schwerverletzten-Behandlung (3)
Die Handlungsempfehlung zur prähospitalen Notfallnarkose beim Erwachsenen hierzu:
Ketamin senkt ICP und kann beim Schädel-Hirntrauma eingesetzt werden. (4)
Aufgrund der sympathomimetischen Effekte und dem schnellen Wirkungseintritt ist Ketamin vor allem bei instabilen Patienten (bzw. wenn Hypotensionen unbedingt vermieden werden sollten) eine gute Option zur Narkoseeinleitung und ebenfalls in den S3-Leitlinien zur Polytraumaversorgung empfohlen. Die Befürchtung den Hirndruck beim beatmeten Patienten zu erhöhen ist widerlegt. Die klinische Anwendung von Ketamin aufgrund von ICP bezogenener Anliegen sollte dadurch somit nicht beeinflusst werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie kommt in ihrer S1 Leitlinie „Intrakranieller Druck (ICP)“ zu folgendem Ergebnis (5):
Das Hypnoanalgetikum Ketamin – als Racemat oder S-Ketamin – ist nicht zuletzt wegen indirekter Sympathomimetik für die Ziele der Neurointensivmedizin geeignet. Früher gehegte Befürchtungen hinsichtlich einer Steigerung des ICP und des zerebralen Sauerstoffverbrauchs durch Ketamin sind widerlegt.
Somit spricht nichts gegen die Verwendung von Ketamin, sondern vieles dafür.
Literatur
-
Filanovsky Y, Miller P, Kao J.Myth: Ketamine should not be used as an induction agent for intubation in patients with head injury.CJEM. 2010 Mar;12(2):154-7.
- Wang X, Ding X, Tong Y, Zong J, Zhao X, Ren H, Li Q. Ketamine does not increase intracranial pressure compared with opioids: meta-analysis of randomized controlled trials. J Anesth. 2014 May 24.
- S3-Leitlinie Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung Stand: 07/2016
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/012-019.html -
Handlungsempfehlung zur prähospitalen Notfallnarkose beim Erwachsenen. Arbeitsgruppe „Prähospitale Notfallnarkose“ des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Notfallmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Link -
Huttner H. et al., Intrakranieller Druck (ICP), S1-Leitlinie, 2018 in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: http://www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 23.06.2018)
Letzte Änderung: 06/2018
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