Es galt lange Zeit als Standard of Care, bei Intensivpatienten täglich ein „Routine- Thoraxröntgen“ anfertigen zu lassen. Diese Tradition wurde von diversen Guidelines (1) gestützt, da insbesondere Daten aus den 1980er Jahren zeigten, dass dadurch neue oder unerwartete Befunde einen Einfluss auf die Therapieentscheidung hatten.
In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Intensivmedizin und die Bildgebung deutlich verändert. Neue Methoden wurden etabliert, bestehende weiterentwickelt; Ausbildung und personelle Ressourcen sind im Wandel.
In mehreren Studien wurde diese Praktik infrage gestellt. Dabei konnte gezeigt werden, dass auch ein restriktives Vorgehen den Patienten nicht schadet. (2, 3). So ist in den aktuellen Kriterien des American College of Radiology die Thorax-Röntgenaufnahme des Intensivpatienten nur mehr bei medizinischer Begründung empfohlen (4)
Welche Bildgebung sollen wir also verwenden und wann ist eine Untersuchung indiziert?
Thorax Röntgen
Das Thorax Röntgen ist rasch bettseitig durchführbar. An personellen Ressourcen werden ein Radiologie-Technologe, ein bis zwei Pflegepersonen zur Lagerung und in der Folge ein Radiologe zur Befundung (Ausnahme: Der Pneumologe ist zur Befundung von Thoraxröntgen befugt) benötigt. Apparativ sind ein mobiles Röntgengerät und ein auslesender Prozessor sowie eine Befundkonsole notwendig.
Die gewonnenen Informationen sind durch den anterior-posterioren Strahlengang, eventuell problematische Lagerung, fehlende zweite Ebene und möglicherweise suboptimale Inspiration bereits eingeschränkt. Hinzu kommt die unterschiedliche Darstellung von Anatomie und pathologischen Vorgängen in der liegenden Aufnahme.
Diese Faktoren können sogar zu einem Übersehen eines Pneumothorax oder eines relevanten Pleuraergusses führen. Die Strahlendosis ist – ausgenommen bei sehr häufigen Aufnahmen – beinahe vernachlässigbar.
Computertomografie
Zweifelsfrei ist die Computertomografie mit Kontrastmittel eine Möglichkeit der Bildgebung, die relativ rasch detaillierte Informationen zu unterschiedlichen Fragestellungen geben kann. Personelle Ressourcen umfassen einen erfahrenen Intensivmediziner, eventuell Intensiv-Pflegepersonal, Transportdienst, zumindest einen Radiologie-Technologen und einen Radiologen. Situations- und patientenabhängig eventuell auch mehr. Inklusive Transportzeit fällt hier deutlich mehr Personen-Arbeitszeit an als bei anderen bildgebenden Verfahren.
Abgesehen vom Risiko einer Kontrastmittel-Reaktion ist insbesondere der Transport selbst als großes Risiko für den Patienten zu werten. Die Rate an Transport-Zwischenfällen lag in einer multizentrischen französischen Studie (nicht auf thorakale Bildgebung beschränkt) bei 45 Prozent wobei vor allem Extubation, Line Displacement und hämodynamische oder Beatmungs-Probleme auftraten. (5) Dem ist entgegenzuhalten, dass in 23 Prozent der Fälle das Ergebnis der CT zur Änderung der therapeutischen Strategie führte.
Die Strahlenexposition ist hier bereits ein relevanter Faktor. (6) Die Indikation sollte also unter entsprechender Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen.
Ultraschall
Der thorakale Ultraschall ist als noch recht junge Disziplin mittlerweile in der Intensivmedizin breit etabliert. (7) Mit modernen Geräten ist er bettseitig durchführbar, benötigt keine weiteren apparativen Ressourcen und ist in der Regel von einer Person bedienbar. (8) Größtes Hindernis ist die adäquate Ausbildung und Erfahrung der Ausübenden. (9) Die Lernkurve ist aber steil und ein Grundwissen für gewisse Fragestellungen kann sehr rasch erworben werden. (10)
Fallweise kann die Patienten-Lage und fehlende Lagerungs-Möglichkeit des Patienten einige Regionen nicht (sofort) zugänglich machen. Weitere Hindernisse sind bekanntermaßen die luftgefüllte Lunge und ein allfälliges Hautemphysem.

Hautemphysem
Wie sollen wir also vorgehen?
Eine „One Size fits All“ Empfehlung gibt es nicht – wie so oft in der Medizin.
Am Anfang sollte die sorgfältige klinische Beurteilung stehen. Welche Frage soll beantwortet werden, welche Konsequenz ergibt sich für den Patienten, wie kann man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln (Geräte und Personal) und der geringsten möglichen Gefährdung für den Patienten in einer Zumutbaren Zeitspanne eine Antwort auf eine gewisse klinische Fragestellung finden.
– Die korrekte Intubation kann man sonographisch verfolgen (12) die Tubuslage je nach Situation fiberoptisch oder mit Thoraxröntgen kontrollieren. (4)
– Atelektasen und Veränderungen in der Compliance kann man anhand der Respiratorkurve vermuten und versuchen primär sonographisch zu detektieren. (13)
– ARDS-Verlaufskontrollen sind oft mit Ultraschall möglich. (14, 15)
– Die korrekte Lage einer neuen Nasogastral-Sonde ist meist im Ultraschall zu sehen (16)

Magensonde
– Pneumothorax und Erguss sind schon lange Domäne der Sonographie. (17, 18, 19)
– Volumenstatus und pulmonale Kongestion können eventuell sonographisch erkannt werden, erfordern beim invasiv beatmeten Patienten jedoch Erfahrung. (20, 21)
– Tiefe Beinvenenthrombose und Pulmonalembolie können durch Whole Body Ultrasound zu mit einer Spezifität von 93% Prozent diagnostiziert werden. (22, 23)
– Die Daten zur ventilatorassoziierten Pneumonie sind mangelhaft (24), für die ambulant erworbene Pneumonie ist der Ultraschall in Händen eines gewissenhaften Anwenders dem Thorax-Röntgen gleichwertig. (25)
– Bei Weaning-Problemen sind Diagnostik von Herz, Lunge und Zwerchfell mit Ultraschall hilfreich. (26, 27)
Nicht unerwähnt soll bleiben dass der Gesetzgeber vorsieht, stets strahlenfreie Methoden anzuwenden, wenn dies möglich ist (28).
So ergibt sich zusammenfassend die Empfehlung, eine fokussierte sonographische Untersuchung zu starten. Sollten Fragen offenbleiben, können Thorax-Röntgen oder eventuell auch CT weitere wertvolle Hinweise geben.
Es kann jedoch die zugrundeliegende Fragestellung und die daraus folgende Konsequenz eine andere Untersuchung primär rechtfertigen, insbesondere wenn diese aus logistischen Gründen schneller bzw. mit einer besseren Aussagequalität verfügbar sind.
Anmerkung: Aus Gründen der Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen die männliche Form gewählt, es ist jedoch immer die weibliche Form mitgemeint.
References
(1) American College of Radiology. Appropriateness criteria: routine chest radiograph (2006)
(2) Hejblum G, Chalumeau-Lemoine L, Ioos V, lle P-YB, Salomon L, Simon T, et al. Comparison of routine and on-demand prescription of chest radiographs in mechanically ventilated adults: a multicentre, cluster-randomised, two-period crossover study. The Lancet. Elsevier Ltd; 2009 Nov 14;374(9702):1687–93.
(3) Ioos V, Galbois A, Chalumeau-Lemoine L, Guidet B, Maury E, Hejblum G. An integrated approach for prescribing fewer chest x-rays in the ICU. Annal-Intensive-Care. Springer Open Ltd; 2011 Jan;1(1):4.
(4) Amorosa JK, Bramwit MP, Mohammed TLH, Reddy GP, Brown K, Dyer DS, et al. ACR Appropriateness Criteria Routine Chest Radiographs in Intensive Care Unit Patients. JACR. Elsevier Inc; 2013 Mar 1;10(3):170–4.
(5) Aliaga M, Forel J-M, De Bourmont S, Jung B, Thomas G, Mahul M, et al. Diagnostic yield and safety of CT scans in ICU. Intensive Care Med. 2014 Dec 18.
(6) Sodickson A, Baeyens PF, Andriole KP, Prevedello LM, Nawfel RD, Hanson R, et al. Recurrent CT, Cumulative Radiation Exposure, and Associated Radiation-induced Cancer Risks from CT of Adults1. Radiology. 2009;251(1):175–84.
(7) Lichtenstein D, van Hooland S, Elbers P, Malbrain MLNG. Ten good reasons to practice ultrasound in critical care. Anaesthesiol Intensive Ther. 2014 Nov;46(5):323–35.
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(11) Saugel B, Scheeren TWL, Teboul J-L. Ultrasound-guided central venous catheter placement: a structured review and recommendations for clinical practice. Critical Care; 2017 Aug 22;:1–11.
(12) Chou H-C, Tseng W-P, Wang C-H, Ma MH-M, Wang H-P, Huang P-C, et al. Tracheal rapid ultrasound exam (T.R.U.E.) for confirming endotracheal tube placement during emergency intubation. Resuscitation. European Resuscitation Council, American Heart Association, Inc., and International Liaison Committee on Resuscitation.~Published by Elsevier Ireland Ltd; 2011 Oct;82(10):1279–84.
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(14) Bouhemad B, Brisson H, Le-Guen M, Arbelot C, Lu Q, Rouby J-J. Bedside ultrasound assessment of positive end-expiratory pressure-induced lung recruitment. Am J Respir Crit Care Med. 2011 Feb 1;183(3):341–7.
(15) Bouhemad B, Mongodi S, Via G, Rouquette I. Ultrasound for “lung monitoring” of ventilated patients. Anesthesiology. 2015 Feb;122(2):437–47.
(16) Vigneau C, Baudel J-L, Guidet B, Offenstadt G, Maury E. Sonography as an alternative to radiography for nasogastric feeding tube location. Intensive Care Med. 2005 Nov;31(11):1570–2.
(17) Lichtenstein DA, Menu Y. A Bedside Ultrasound Sign Ruling Out Pneumothorax in the Critically Ill. Chest. 1995;108:1345–8.
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(21) Copetti R, Soldati G, Copetti P. Chest sonography: a useful tool to differentiate acute cardiogenic pulmonary edema from acute respiratory distress syndrome. Cardiovascular Ultrasound. 2008 Jan;6:16.
(22) Reissig A, Kroegel C. Transthoracic Ultrasound of Lung and Pleura in the Diagnosis of Pulmonary Embolism: A Novel Non-Invasive Bedside Approach. Respiration. 2003;70(5):441–52.
(23) Niemann T, Egelhof T, Bongartz G. Transthoracic sonography for the detection of pulmonary embolism – a meta-analysis. Ultraschall in der Medizin. 2009 Apr;30(2):150–6.
(24) Mongodi S, Via G, Girard M, Rouquette I, Misset B, Braschi A, et al. Lung Ultrasound for Early Diagnosis of Ventilator-Associated Pneumonia. Chest. Elsevier Ltd; 2015 Dec 22;:1–34.
(25) Reissig A, Copetti R, Mathis G, Mempel C, Schuler A, Zechner PM, et al. Lung ultrasound in the diagnosis and follow-up of community-acquired pneumonia: a prospective, multicenter, diagnostic accuracy study. Chest. 2012 Oct;142(4):965–72.
(26) Ferrari G, De Filippi G, Elia F, Panero F, Volpicelli G, Apr a F. Diaphragm ultrasound as a new index of discontinuation from mechanical ventilation. Critical Ultrasound Journal. 2014 Jan;6(1):8.
(27) Xirouchaki N, Kondili E, Prinianakis G, Malliotakis P, Georgopoulos D. Impact of lung ultrasound on clinical decision making in critically ill patients. Intensive Care Med. 2014 Jan;40(1):57–65.
(28) Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und Frauen über Maßnahmen zum Schutz von Personen vor Schäden durch Anwendung ionisierender Strahlung im Bereich der Medizin (Medizinische Strahlenschutzverordnung – MedStrSchV) – https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20003681 (accessed 7.10.2017)
Besonderen Dank möchte ich Dr. Wilfried Fritz, UKIM Graz für die Durchsicht und Korrektur des Manuskripts aussprechen. Der Artikel basiert auf dem Vortrag „Sonographie – wird das Thorax-Röntgen überflüssig?“ am Regensburger Symposium Intensivmedizin 2017.
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